Dresscode 2024: robust und wandlungsfähig

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Kriegssorgen, Inflation, sinkendes Verbrauchervertrauen – 2023 war ein Jahr der Herausforderungen für die Modeindustrie. Zwar gelang es einigen Unternehmen in der ersten Jahreshälfte noch, Umsatz und Performance zu steigern – wenn sie ihre Kosten im Griff hatten. Doch der bis Ende September andauernde Sommer bescherte dem stationären Modehandel das erste Minus-Quartal seit Anfang 2021. Bei sommerlichen Temperaturen wurden Pullover und Wintermäntel zu Ladenhütern; die Umsätze gingen um 12 Prozent zurück.

75%

der Modeunternehmen betrachten 2024 als mindestens so herausfordernd wie das Vorjahr.

Einige deutsche Traditionsunternehmen wie Peek & Cloppenburg, Klingel, Hamm-Reno, Gerry Weber und Hallhuber mussten sogar Insolvenz beantragen.

Fahrt ins Ungewisse

Mit Blick auf das Jahr 2024 sind die Führungskräfte der Branche vor allem eins: unsicher. Dies zeigt der achte Report „The State of Fashion 2024“ von McKinsey in Kooperation mit The Business of Fashion (BoF). Angesichts der geopolitischen Ereignisse, einer schwachen Wirtschaft und hoher Zinssätze verwundert das kaum. Doch in einigen Märkten und Segmenten sehen die Befragten auch Grund für Optimismus. Das Ergebnis? Ein zwiegespaltener Ausblick auf das Jahr. Weltweit erwarten drei Viertel der befragten Führungskräfte, dass die Bedingungen im Vergleich zum Vorjahr gleichbleiben oder sich verschlechtern. Ein Viertel glaubt hingegen, dass sie sich verbessern. Damit ist die Stimmung der Branche ein wenig optimistischer als in den Jahren zuvor. Dies deckt sich weitgehend mit der Stimmung in Deutschland: Hier rechnet fast die Hälfte der Befragten damit, dass die Lage unverändert herausfordernd bleibt, 26 Prozent befürchten eine Verschlechterung – wohl auch unter dem Eindruck des äußerst schwierigen Jahres 2023 in Deutschland. Die Geopolitik bereitet der Modebranche 2024 erwartungsgemäß die meisten Sorgen. 62 Prozent der Befragten – unter den deutschen Führungskräften sind es sogar acht von zehn nennen geopolitische Instabilität als das größte Wachstumsrisiko, gefolgt von wirtschaftlicher Volatilität und Inflation. Letztere scheint jedoch an Bedeutung zu verlieren – sie gibt nur noch der Hälfte der Teilnehmenden Anlass zur Sorge, im Vergleich zu 78 Prozent im Vorjahr. Möglicherweise zeigt die Politik der Zentralbanken hier allmählich die gewünschte Wirkung, nachdem die Inflationsraten in den USA und Europa 2022 historische Höchst- stände erreicht hatten.

Schwaches Wachstum erwartet

Was die Geschäftsentwicklung angeht, so prognostizieren die McKinsey Fashion Growth Forecasts für 2024 weltweit ein schwaches Wachstum zwischen 2 und 4 Prozent. Allerdings mit regionalen Unterschieden: In Europa rechnet die Branche lediglich mit 1 bis 3 Prozent Wachstum. Dies ist u.a. auf das sinkende Verbrauchervertrauen und schrumpfende Ersparnisse der Haushalte zurückzuführen. Berücksichtigt man zusätzlich die hohe prognostizierte Kerninflationsrate von bis zu 4 Prozent, sind die Wachstumsaussichten sogar noch geringer.



In den USA trübt sich die Verbraucherstimmung weiter ein – in den Kategorien unterhalb des Luxussegments liegt das erwartete Wachstum bei nur noch 0 bis 2 Prozent. In China bleibt die Nachfrage im Vergleich zu den historischen Wachstumsraten zwar ebenfalls relativ schwach, doch das Wachstum wird dort mit 4 bis 6 Prozent voraussichtlich immer noch höher ausfallen als in den USA und Europa. Auch das Luxussegment, traditionell ein Wachstumsmotor der Branche, bleibt von der Entwicklung nicht verschont. Hier wird erwartet, dass das weltweite Wachstum von bis zu 7 Prozent im vergangenen Jahr auf 3 bis 5 Prozent sinken wird, da die Menschen ihre Ausgaben nach der postpandemischen Einkaufswelle nun wieder einschränken. Für den europäischen Luxusgütermarkt sehen die Prognosen für 2024 ein Wachstum zwischen 3 und 5 Prozent, rund 2 Prozentpunkte weniger als in der zweiten Jahreshälfte 2023. Einen positiven Effekt werden voraussichtlich die Touristinnen und Touristen haben, die im Zuge der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele in Paris nach Europa reisen.

71%

der Fashion-Führungskräfte wollen dieses Jahr ihre Umsätze steigern – die meisten über Preiserhöhungen.

Während es auf den größten Modemärkten also kaum Anzeichen für eine Wachstumsrückkehr gibt, sehen die befragten Führungskräfte andere Märkte durchaus als vielversprechend an, allen voran Indien (39 Prozent) und den Asien-Pazifik-Raum (34 Prozent). Westeuropa hingegen ist nur für jeden fünften Befragten eine erfolgversprechende Region, während fast ein Drittel (32 Prozent) diesen Markt als wenig aussichtsreich einschätzt.

Den Preis im Blick

Trotz des schwierigen Umfelds will die große Mehrheit der Modeunternehmen wieder zu den alten Umsätzen zurückkehren. 71 Prozent der Führungskräfte planen laut Umfrage, sich 2024 auf die Umsatzsteigerung zu konzentrieren – verglichen mit 63 Prozent im Vorjahr. Doch die Aussichten auf Mengenwachstum schwinden, deshalb versprechen Preis- und Werbeoffensiven hier größeren Erfolg. Entsprechend planen mehr als zwei Drittel der Befragten (69 Prozent), 2024 die Preise zu erhöhen. Ein Viertel von ihnen avisiert sogar eine Steigerung von über 5 Prozent. In Deutschland allerdings glauben nur 15 Prozent der Führungskräfte an eine derartige Preisanhebung. Grund hierfür könnte die deutsche Kaufzurückhaltung sein: Mehr als drei Viertel (76 Prozent) der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher haben sich McKinsey-Analysen zufolge vorgenommen, in diesem Jahr weniger Geld für Bekleidung und Schuhe auszugeben.

Strategische Prioritäten

Zehn Trends zeichnen sich derzeit ab, die die Agenda der Modehersteller im Jahr 2024 prägen werden. Zu den wichtigsten zählen Nachhaltigkeit, generative KI und das Comeback des Reise- Shoppings.

Marktumfeld: Beständig unbeständig

Mehr Fragmentierung: Wahrscheinlich wird es vor allem denjenigen Unternehmen gelingen, mit Preisanhebungen das Wachstum anzukurbeln, die einen präzise zugeschnittenen Pricing-Ansatz verfolgen, der den komplexen Entwicklungen Rechnung trägt. Denn die aktuelle Verbraucherstimmung und die inflationsbedingt höhere Preissensibilität werden pauschale Erhöhungen über das gesamte Sortiment aller Voraussicht nach nicht zulassen. Zugleich werden die Hersteller ihre Kos- ten und Investitionen weiterhin fest im Griff halten müssen. Allerdings hat die Branche bereits weitreichende Kostensenkungen erlebt, weshalb es sinnvoll erscheint, den Schwerpunkt von bloßen Kürzungen auf strengere Kontrollen von Beschaffungsprozessen und Lieferketten zu verlagern.

Klimakrise: Neben den wirtschaftlichen Turbulenzen ist die Klimakrise ein weiterer neuralgischer Punkt. Nach den extremen Wetterereignissen der vergangenen Jahre werden die führenden Unternehmen ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels voraussichtlich verstärken. Denn Abwarten ist keine Option mehr: Extreme Klimaereignisse gefährden bereits jetzt das Leben und den Lebensunterhalt von Beschäftigten in der Modebranche und könnten bis 2030 Bekleidungsexporte im Wert von schätzungsweise 65 Milliarden US-Dollar gefährden. Ein Teil der Führungskräfte hat den Handlungsbedarf erkannt: Etwa 12 Prozent der Befragten haben das Thema ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Doch die Aufgabe ist komplex und der regulatorische Druck steigt, deshalb bezeichnet die gleiche Anzahl der Befragten das Thema zugleich als eine der größten Herausforderungen.

65 Mrd.

US-Dollar Verlust drohen Bekleidungsexporteuren mittelfristig durch extreme Klimaereignisse.

Business: Systemwandel gefragt

Nachhaltigkeitsregulatorik: Neue Vorschriften zu mehr Nachhaltigkeit in der Europäischen Union und den USA bewirken, dass die Lieferketten der Modebranche auf den Prüfstand gestellt werden. Denn die Gesetze verlangen von den Herstellern, dass sie ihre Initiativen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und Abfall verdoppeln und zugleich Geschäftsmodelle entwickeln, die Ressourcen schützen und erhalten.

Fast-Fashion-Machtkampf: Die strengeren regulatorischen Nachhaltigkeitsvorgaben dürften speziell die Fast-Fashion-Hersteller unter Druck setzen, die zusätzlich mit immer stärkerem Wettbewerb konfrontiert sind. Einige Unternehmen setzen auf neue Taktiken bei Preis, Kundenerlebnis und Geschwindigkeit. Abzuwarten bleibt, wie diese dritte Generation von Fast-Fashion-Anbietern mittelfristig mit regulatorischen Verschärfungen umgehen wird.

Generative KI. Bei der Suche nach Wachstums- hebeln der Zukunft richten die Umfrageteilnehmenden ihr Augenmerk auch auf die generative künstliche Intelligenz (GenAI), die ein erhebliches Potenzial für Design und Produktentwicklung in der Modebranche bietet. Fast drei von vier Führungskräften (73 Prozent) wollen der GenAI deshalb in diesem Jahr Priorität einräumen. Allerdings beklagen viele von ihnen einen Mangel an qualifiziertem Personal in diesem Bereich.

73%

erklären den Einsatz von generativer KI dieses Jahr zur Priorität.

„Bullwhip“-Effekt: 2024 wird die Branche die Folgen der Nachfrageschwankungen in den letzten Jahren deutlich in ihren Lieferketten zu spüren bekommen – den sogenannten „Bullwhip“-Effekt. Dabei haben schon geringe Umsatzschwankungen große Auswirkungen, z.B. eine Unterauslastung der Fabriken, Entlassungen und verzögerte Infrastrukturinvestitionen. Um dem entgegenzuwirken, sollten Modemarken die Beziehungen zu ihren Zulieferern transparenter und kooperativer gestalten und zugleich ihre Beschaffung flexibler aufstellen.

Brand-Marketing: Auch im Marketing sind Veränderungen in Sicht. Lange Zeit stand das renditeorientierte Performance-Marketing im Fokus der verantwortlichen Führungskräfte. Doch für 2024 planen mehr als 70 Prozent von ihnen, intensiver in das längerfristig ausgerichtete Brand-Marketing zu investieren – und damit in die Stärkung ihrer Marken. Dieser Strategiewechsel könnte sich auszahlen, da Modekonsument:innen immer höhere Ansprüche an überzeugende und authentische Marken stellen.

Kundenpräferenzen: Bewegung im Spiel

Reise-Shopping: Zum ersten Mal seit den Jahren der Pandemie wird das Reiseaufkommen 2024 voraussichtlich das von 2019 übersteigen. So wird beispielsweise erwartet, dass die Reisetätigkeit der Chinesinnen und Chinesen ins Ausland zwischen 70 und 100 Prozent des Niveaus vor der Pandemie erreichen wird. Damit steigt die Nachfrage nach Markenerlebnissen und den klassischen Shopping-Trips. Modeunternehmen sollten deshalb Konzepte entwickeln, wie sie die Wünsche einer Kundschaft erfüllen können, die im Ausland und auf Reisen einkauft.

Outdoor-Boom: Die Menschen verbringen wieder mehr Zeit im Freien, was in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach entsprechender Bekleidung erhöht hat. 2024 rechnet die Branche damit, dass neue Bewegung in das Marktsegment kommt: Mehr Outdoor-Marken werden Lifestyle-Kollektionen herausbringen, während Lifestyle-Marken zunehmend technische Elemente in ihre Artikel einbauen werden. Funktionalität und Stil verschmelzen damit weiter.

Neue Influencer: Verbraucher:innen wünschen sich nicht nur authentische Marken, sondern auch glaubwürdige und weniger „perfekte“ Influencer, mit denen sie sich identifizieren können. Unternehmen, die sich auf diesen neuen Konsumententyp einlassen, können so die emotionale Bindung an ihre Marke stärken. Die Zusammenarbeit mit Content Creators erfordert künftig auch eine andere Art von Partnerschaft, einen Schwerpunkt auf Videomarketing und die Bereitschaft, ihnen mehr kreativen Freiraum zu gewähren.

71%

planen höhere Investitionen in ihr Brandmarketing.

Planung ist Trumpf

Insgesamt stellen sich die Führungskräfte der Modebranche auf ein strategisch schwieriges Jahr ein. Vorausschauendes Handeln ist entscheidend, um in solch unsicheren Zeiten auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Wenn Unternehmen sorgfältig für unterschiedliche Szenarien planen, Kosten und Lagerbestände fest im Griff haben, die Preisgestaltung präzise managen und sich auf neue Kundenwünsche einstellen, kann es ihnen gelingen, dem Sturm die Stirn zu bieten.

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