Beim Gang durch den Drogerie- oder Supermarkt fallen sie besonders auf: Produkte mit Nachhaltigkeitslabels wie „bio“, „klimafreundlich“ oder „fair gehandelt“. In den vergangenen Jahren hat sich das Angebot spürbar erhöht – aus gutem Grund. Denn immer mehr Verbraucher:innen betonen, wie wichtig ihnen Nachhaltigkeit ist. So gaben 2023 mehr als neun von zehn Deutschen in einer Befragung des Bundesumweltamts an, dass sie sich eine umweltfreundlichere Wirtschaft wünschen.
Noch konkreter äußerten sich Konsument:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einer McKinsey-Umfrage zwei Jahre zuvor: Dort gab rund die Hälfte an, sich bewusst für Produkte zu entscheiden, die die Umwelt schonen und soziale Aspekte bei der Herstellung berücksichtigen. Viele weitere Umfragen seither, darunter der periodisch durchgeführte McKinsey ConsumerWise Survey für Europa von 2024, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Und die jüngsten Analysen etwa zum europäischen Lebensmittelmarkt deuten darauf hin, dass ein wachsender Konsumententeil bei weiterer Abschwächung der Inflation sogar noch stärker bereit ist, nachhaltige Produkte nicht nur zu kaufen, sondern auch einen höheren Preis für sie zu zahlen.
Wenn den Worten keine Taten folgen
Doch führt die gute Kaufabsicht auch zur realen Kaufentscheidung? Nicht immer, stellen Einzelhändler und Hersteller fest. Zumindest einige „grüne“ Produkte bleiben nach ihren Beobachtungen hinter den Erwartungen zurück und drohen mitunter sogar, zum Ladenhüter zu werden. Aber woran liegt es, dass den Worten der Verbraucher:innen oft keine Taten folgen? Um das herauszufinden, hat die Marktforschung ihren Fokus von der Erfassung bloßer Absichtserklärungen auf das tatsächliche Kaufverhalten verlagert. Beispielsweise vergleicht sie die Bedürfnisse und Einstellungen von Menschen, die ein bestimmtes Produkt gekauft haben, mit den Bedürfnissen und Einstellungen derjenigen, die sich dagegen entschieden haben – und kann so die wahren Kaufmotive ergründen.
50%
der Menschen in der DACH-Region wollen Produkte, die umweltschonend und sozial fair produziert sind.
Ein Musterbeispiel für die Diskrepanz zwischen angegebener Kaufabsicht und tatsächlichem Tun ist der Autokäufer, der zunächst sagt, dass ein geringer Kraftstoffverbrauch Priorität bei seiner Wahl eines Neuwagens hat. Am Ende aber kauft er doch ein Fahrzeug mit hohem Verbrauch, weil andere Faktoren im Entscheidungsprozess den Ausschlag gaben – z.B. seine Vorliebe für eine bestimmte Marke und deren Image.
Faktoren wie diese spielen auch bei Konsumgütern des täglichen Bedarfs eine Rolle. Einige als nachhaltig deklarierte Produkte erfüllen möglicherweise (noch) nicht die grundlegenden Kundenbedürfnisse: ein pflanzlicher Milchersatz, der nicht „richtig“ schmeckt, eine vegane Frikadelle, die nicht die erwartete Konsistenz hat, oder ein aus Biofasern hergestelltes T-Shirt, das sich nicht gut anfühlt oder beim Waschen eingeht. In anderen Fällen können die angebotenen Produkte einfach zu teuer sein – z.B. eine fair gehandelte Bioschokolade, die doppelt oder dreimal so viel kostet wie eine konventionelle Schokolade.
Fakten bringen Licht ins Dunkel
Die Gründe für eine mangelnde Akzeptanz nachhaltiger Angebote im Markt können vielfältig sein, und sie unterscheiden sich je nach Marke, Kategorie und Region. Konsumgüterunternehmen brauchen also ein Verfahren, um die potenzielle Nachfrage der Kundschaft nach umweltfreundlichen Produkten abzuschätzen und ihre Preisbereitschaft hierfür zu ermitteln. Und dies am besten noch vor der Markteinführung, denn der Launch von neuen Produkten ist langwierig und kostspielig.
Um Licht in die „Blackbox“ der wahren Verbraucherpräferenzen zu bringen, hat McKinsey in Kooperation mit der Marktforschungsagentur Veylinx ein neues Verfahren getestet: Online-Auktionen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Kaufsituationen simulieren, die Aufschlüsse geben über das tat- sächliche Kundenverhalten. Der auktionsbasierte Ansatz bewertet dabei die Kauf- und Zahlungsbereitschaft für Produkte mit nachhaltigen Attributen, die sich noch in der Entwicklungs- oder Konzept- phase befinden und bislang nur in der Simulation existieren.
Kurz umrissen läuft die Testauktion so: Die Teilnehmenden geben zunächst Gebote für ein bestimmtes Produkt ab. Damit signalisieren sie zum einen ihre prinzipielle Kaufbereitschaft und zum anderen, wie viel sie zu zahlen bereit sind. In der Simulation wird den Mitwirkenden mitgeteilt, dass sie das Produkt kaufen müssen, sobald ihr Gebot den vom Hersteller festgelegten Preis übersteigt. Auf diesem Weg erhalten die Unternehmen Hinweise darauf, welche ihrer Produktkonzepte aus der Simulation sich später im Markt gut verkaufen lassen – und zu welchem Preis.
Wichtigster Vorteil des Auktionsansatzes gegen- über klassischen Verbraucherumfragen: Durch die Simulation tatsächlicher Kaufsituationen besitzen die Ergebnisse eine höhere Aussagekraft als Marktforschungen, die lediglich die Präferenzen von Konsument:innen erfassen, nicht aber deren reale Kaufentscheidungen. Weitere Vorteile: Das Simulationsverfahren lässt sich zu einem Bruchteil der Kosten realer Kauftests durchführen und an die meisten Konsumgüterkategorien und -produkte anpassen.
Praxistest: Was Kunden wirklich wollen
Im Rahmen einer Pilotstudie wurde der Auktionsansatz in drei Kategorien – Joghurt, Shampoo und T-Shirts – auf dem deutschen Markt getestet. Pro Kategorie wurden fünf Produktattrappen mit Nachhaltigkeits-Claims erstellt, die sich auf den Artikel selbst, seine Verpackung oder die sozialen Implikationen seiner Herstellung bezogen. In jeder Kategorie gab es zudem ein Referenzprodukt ohne entsprechenden Claim. In der Analyse zeichnete sich klar ab, zu welchen nachhaltigen Produktangeboten die Auktionsteilnehmenden greifen würden und was sie bereit wären, dafür zu zahlen:
Produkte mit Umwelt- und Sozialanspruch. Bei 14 der 15 getesteten Produkte führte eine konkrete Umwelt- und Sozialaussage zu einer höheren Nachfrage (Kaufbereitschaft) gegenüber dem jeweiligen Referenzprodukt. Allerdings hielt die stärkere Kaufbereitschaft nur bei zwei der 14 positiv getesteten Produkte bis ins obere Preissegment an, nämlich bei pflanzlichem Joghurt und T-Shirts, die in Asien mit höheren Sozialstandards hergestellt wurden.
„Grüne“ Produktinnovationen. In allen Kategorien führten fünf der sechs getesteten produktbezogenen Werbeaussagen zu einer erhöhten Kaufbereitschaft über mehrere Preispunkte hinweg. Eine der Innovationen (pflanzlicher Joghurt) erzeugte erst ab einem relativ hohen Preis von 1,99 Euro eine stärkere Nachfrage gegenüber dem konventionellen Referenzprodukt. Die höchste Nachfragedifferenz (plus 3,8 Prozentpunkte) innerhalb der „grünen“ Angebote erzeugte das Shampoo mit dem Claim „100% natürliche Inhaltsstoffe (biologisch abbaubar)".
Angebote mit „grüner“ Verpackung. Von den drei getesteten umweltbewussten Verpackungsideen erzeugten zwei (nachhaltige Joghurtbecher und nachfüllbare Shampooflaschen) eine höhere Nachfrage als die entsprechenden Alternativen ohne Umweltaussagen. Lediglich die Shampooflasche aus recyceltem Kunststoff verzeichnete eine um 0,5 Prozentpunkte geringere Nachfrage als das Referenzprodukt. Im Schnitt beflügelten verpackungsbezogene Werbeaussagen die Kaufbereitschaft weniger stark als produktbezogene.
14
der 15 getesteten Produkte mit klarer Umwelt- und Sozialaussage erzeugten eine erhöhte Nachfrage.
Produkte mit Sozialstandards. Explizit soziale Aussagen wie bessere Arbeitsbedingungen, höhere Tierschutzstandards oder lokale Produktion führten durchweg zu einer höheren Nachfrage: Fünf der sechs getesteten Produkte mit entsprechenden Claims übertrafen das Referenzprodukt. Lediglich die „in Asien mit besseren Sozialstandards produzierten“ T-Shirts stießen auf vergleichsweise geringes Kaufinteresse, insbesondere bei einem Preis von 14,99 Euro oder darunter. Erst in höheren Preissegmenten waren die in Asien hergestellten T-Shirts mit Sozialattributen etwas beliebter als das Referenzprodukt.
Neben den individuellen Kauf- und Preisbereitschaften förderte die Auktion zugleich einige soziodemografische Verhaltensmuster in Bezug auf nachhaltige Produkte zutage. So ist die Generation Z der 14- bis 29-Jährigen grundsätzlich am ehesten bereit, einen Aufpreis für ökologisch oder sozial gelabelte Artikel zu zahlen. Unabhängig vom Alter sind wiederum Frauen eher geneigt, mehr für umweltfreundliches Shampoo auszugeben, während Männer eine höhere Preisbereitschaft für Joghurt und T-Shirts mit ökologischen oder sozialen Merkmalen zeigen.
Wichtigste Grundvoraussetzung für die Kaufbereitschaft aller Konsument:innen ist allerdings, dass die jeweiligen Nachhaltigkeitsaussagen in der Werbung oder auf Verpackungen im Einklang stehen mit den faktischen Handlungen des jeweiligen Anbieters. Wer als Unternehmen irreführende Angaben zu ökologischen oder sozialen Eigenschaften eines Produkts macht, kann schnell in den Verdacht des „Greenwashing“ geraten – und dadurch nicht nur seine Reputation aufs Spiel setzen, sondern auch große Teile seiner Kundschaft verlieren.
Direkte Effekte auf Umsatz und Gewinn
Die auktionsbasierte Analyse gibt nicht nur Aufschluss über die prinzipiellen Kauf- und Preisbereitschaften der Verbraucher:innen, sondern auch über das kommerzielle Potenzial, das die Vermarktung nachhaltiger Produkte birgt. Denn dadurch, dass die Bietenden in der Auktion davon ausgehen, echtes Geld auszugeben, lässt sich zugleich quantifizieren, wie sich nachhaltige Produktideen auf den Umsatz auswirken. In der Kategorie Shampoo beispielsweise führte der Claim „nachfüllbare Plastikflasche“ zu einer um bis zu 5 Prozentpunkte höheren Nachfrage gegenüber dem Referenzprodukt, wobei die erhöhte Kaufbereitschaft vor allem im niedrigen Preissegment besteht.
Ob sich der Nachfrageanstieg auch positiv auf die Marge auswirkt, hängt indessen von den Kosten ab, die mit dem nachhaltigen Produktangebot für den Hersteller verbunden sind. In einigen Fällen können Umwelt- oder Sozialversprechen durchaus dazu beitragen, den Gewinn zu erhöhen. Mitunter können sie aber auch zu einem Margenrückgang führen, sofern die Preise, die Verbraucher:innen zu zahlen bereit sind – selbst wenn sie über denen des Referenzprodukts liegen – die Mehrkosten teurerer Inhaltsstoffe, komplexerer Produktionsmethoden oder neuartiger Verpackungen nicht decken.
5
von 6 getesteten grünen“ Produktmerkmalen führten zu einer s tärkeren Kaufbereitschaft auch in höheren Preissegmenten.
Die Herstellungskosten nachhaltiger Produkte variieren je nach Warenkategorie und Nachhaltigkeitsattribut stark. Jedes Produkt sollte daher einzeln analysiert werden, um die Effekte von Umwelt- oder Sozialstandards auf Umsatz und Gewinn realistisch einschätzen zu können. Neben den eigentlichen Produktstückkosten spielt dabei auch die Unternehmensstrategie eine Rolle: So könnte ein Hersteller beispielsweise bereit sein, vorübergehende Ertragseinbußen in Kauf zu nehmen, um seine Dekarbonisierungsziele zu erreichen, regulatorische Umweltvorgaben einzuhalten oder seine Markenpositionierung in einem zunehmend nachhaltigkeitsgeprägten Wettbewerbsumfeld zu stärken.
In jedem Fall lohnt es sich für Konsumgüterunternehmen, die Möglichkeiten der auktionsbasierten Kauf- und Preisbereitschaftsanalyse zu nutzen. Denn die Erkenntnisse daraus liefern die nötige Faktenbasis, um in nachhaltige Produktattribute zu investieren, die von Konsument:innen auch tatsächlich nachgefragt werden. Das kommt sowohl den Unternehmen als auch dauerhaft der Gesellschaft und der Umwelt zugute.