Die nächste Revolution

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Im Sommer 2023 überraschte die französische Supermarktkette Carrefour ihre Kundschaft und den Wettbewerb mit gleich drei technologischen Innovationen. Der Chatbot Hopla ist für Konsument:innen die sichtbarste: Auf der Website des Unternehmens begleitet er Online-Shopper durch den Einkaufsprozess, wählt Produkte nach ihrem Budget aus, liefert Menüvorschläge, stellt Zutaten zusammen, gibt Zubereitungstipps und beantwortet Fragen aller Art. Seine Stimme ist von einer menschlichen nicht zu unterscheiden – Hopla arbeitet auf Basis von ChatGPT, der zurzeit bekanntesten generativen künstlichen Intelligenz (GenAI).

Bis zu

390

Mrd. US-Dollar Produktivitäts- gewinn könnten Handelsunterneh- men weltweit aus KI-Anwendungen generieren.

Hinter den Kulissen setzt Carrefour die Technologie des Anbieters OpenAI außerdem in der internen Beschaffung ein und nutzt sie zur Erstellung der Datenblätter für seine 2.000 online verfügbaren Produkte. Mit seinem dreifachen KI-Einsatz will Carrefour nach eigenen Angaben nichts weniger als „den Einzelhandel von morgen erfinden“.

GenAI ist im Handel angekommen. Schritt für Schritt hält sie Einzug in Backoffices, Produkten, Lieferketten – und erreicht nun auch die Konsument:innen. Neben Carrefour springen andere „early adopters“ wie Walmart und Zalando auf den Zug, entwickeln interaktive Food- oder Fashion-Apps, die mit der Kundschaft so persönlich kommunizieren wie Ernährungs- und Stil-Coaches aus Fleisch und Blut.

Discounter LIDL investiert sogar über die Stiftung seines Gründers Dieter Schwarz in ein ganzes KI-Entwicklungszentrum und kooperiert mit dem GenAI-Spezialisten Aleph Alpha, um die neue Tech nologie weiter voranzutreiben. Deren revolutionäre Kraft wird bereits verglichen mit der Einführung der Elektrizität, der Verbreitung des Internets oder der Erfindung des Smartphones. Dabei ist es kaum mehr als ein Jahr her, dass GenAI ihren Siegeszug um die Welt antrat. Klar ist aber schon jetzt: Die smarte Technologie wird kein kurzer Hype bleiben; sie wird zum festen Bestandteil unseres Lebens- und Arbeitsalltags werden und die Welt der Wirt- schaft nachhaltig verändern.

Milliardenpotenzial für den Handel

In einigen Branchen ist der Wandel bereits in vollem Gange. Softwareentwickler:innen waren die Ersten, die GenAI über Tools wie GitHub Copilot einsetzten und in anderen Sektoren bekannt machten: Banken lassen seither ihre alten Programmiercodes mithilfe von GenAI in neue übersetzen, um die interne Produktivität zu steigern. Telekommunikationsunternehmen setzen erste generative Sprachassistenten in ihren Callcentern ein, um ihre Belegschaft zu trainieren. Pharmakonzerne nutzen KI, um innovative Biotech-Produkte zu entwickeln und Medikamente zu personalisieren. Modemarken nutzen GenAI, um ressourcenschonend aufwendige Designs zu generieren.

Neben den Softwareentwicklern treten zunehmend auch große Tech-Unternehmen auf den Plan, um mit ihren Lösungsangeboten vor allem die Arbeit im Backoffice effizienter zu gestalten: So stellte Microsoft im März 2023 den KI-gestützten Office-Assistenten Copilot vor, der aus Textdokumenten bebilderte Präsentationen generiert, Konferenzergebnisse zusammenfasst und Vorträge schreibt. Kurz darauf ergänzte Google sein Office-Paket um Programme zur Text- und Tabellenerstellung oder zum Verfassen von E-Mails.

Dem Hightech-Sektor in seiner Vorreiterrolle wird deshalb auch das größte ökonomische Potenzial durch GenAI vorausgesagt: Auf bis zu 460 Milliarden US-Dollar schätzt McKinsey es in seinem jüngsten Report „The Economic Potential of Generative AI“. Gleich dahinter aber folgt bereits der Einzelhandel: Zwischen 240 und 390 Milliarden US-Dollar könnte der Produktivitätsgewinn sein, den Handelsunternehmen weltweit aus den intelligenten Anwendungen generieren werden – weit mehr als in Telekommunikation, Medien und Pharmaindustrie zusammen (Grafik 1).

Die großen Anwendungsfelder

Der Grund für das enorme ökonomische Potenzial: Im Einzelhandel lässt sich GenAI entlang der gesamten Wertschöpfungskette nutzen. Je nach Einsatzgebiet kann sie entweder der Produktivitätssteigerung dienen, der Beschleunigung von Prozessen und der Entlastung von Mitarbeitenden. Oder sie kann helfen, neue Kundenerlebnisse zu schaffen, Verpackungen zu designen oder Produkte zu entwickeln, die exakt den Kundengeschmack treffen. Und da sich künstliche Intelligenz laufend weiterentwickelt, dürften auch die Anwendungsfelder mit der Zeit immer vielfältiger und spezifischer werden.

GenAI als Produktivitätstreiber: Einsatz im Backoffice

Zu den ersten Einsatzgebieten von GenAI zählt zunächst die eigene Organisation. Hier lassen sich die Möglichkeiten, aber auch Risiken der intelligenten Helfer geschützt testen und erproben. Die Bandbreite der Backoffice-Anwendungen reicht von der KI-gestützten Mitarbeiterentwicklung über automatisierte Kundendatenpflege und Performanceanalysen von Filialbetrieben bis zur Erstellung von Quartalsberichten und Vertragsentwürfen. Gerade für die klassischen Office-Anwendungen halten Softwareanbieter bereits zahlreiche standardisierte Tools (AISaaS) bereit.

Viele Unternehmen starten ihren KI-Testlauf auch mit firmeneigenen Sprachmodellen, die wie das öffentliche ChatGPT funktionieren, aber vor dem Datenzugriff von außen geschützt sind. Die Drogeriemarktkette dm, Versandhändler OTTO und auch McKinsey setzen bereits auf solche Lösungen, um ihr internes Wissensmanagement und die Kommunikation zu optimieren. Hier können Mitarbeitende im sicheren Umfeld der unternehmenseigenen IT- Infrastruktur den Umgang mit der neuen Technologie testen und lernen.

Um die Sicherheit weiter zu erhöhen und zugleich die KI weiterzuentwickeln, können Unternehmen so genannte Gateways einrichten: Sie protokollieren die Mitarbeiteranfragen (Prompts) an das System, sammeln die Antworten – und ermöglichen der KI so, immer effizienter zu arbeiten. Dank automatischer Speicherung (Caching) sind zudem einmal generierte Antworten bei Wiederholungsanfragen direkt abrufbar. Und da Gateways auf unterschiedliche Sprachmodelle zugreifen (aktuell z.B. GPT 3.5 und GPT 4), nutzen sie die teureren nur, wenn die günstigen keine befriedigenden Antworten liefern. Das spart Kosten.

GenAI als Game Changer: Einsatz bei Interaktion und Kreation

Während KI-Tools im Backoffice vor allem der Kostensenkung und Effizienzsteigerung dienen, birgt der Einsatz in der Geschäftsinteraktion oder bei der Kreation neuer Produkte deutlich disruptiveres Potenzial. Auf beiden Ebenen könnte GenAI zum echten Game Changer werden. Vielversprechende Anwendungsfelder im Bereich Interaktion sind etwa die Schaffung personalisierter Kundenerlebnisse und automatisiertes Lieferantenmanagement; im Bereich Kreation sind es innovative Verpackungsund Produktdesigns.

Schaffung personalisierter Kundenerlebnisse. GenAI wird das Konsumentenverhalten ähnlich stark verändern wie Amazons Kundenrezensio- nen und Googles Internetsuche. Mithilfe der smarten Technologie lassen sich Kund:innen durch die gesamte Customer Journey begleiten – sei es beim Online-Shopping oder beim Einkauf im Laden. Virtuelle Assistenten generieren Kaufanlässe, helfen bei der Artikelauswahl, navigieren durch den Shop, simulieren Anproben via Bilderkennung und unterstützen beim Bezahlprozess. Kaufhistorien und Kundensegmentierungen liefern die nötige Datenbasis.

Neben Supermärkten wie Carrefour mit seinem Chatbot Hopla nutzen auch die Versandhändler Zalando und OTTO seit 2023 GenAI-Assistenten für die Kundenbetreuung. Weitere Unternehmen werden folgen, denn: Nach McKinsey-Analysen führt GenAI in der Kundeninteraktion zu viermal höheren Konversionsraten und bis zu 30 Prozent mehr Verkäufen. Personalisierte Customer Journeys im Online-Kanal (von der maßgeschneiderten Landing Page bis zur individuellen Produktempfehlung) bringen mindestens 20 Prozent Mehrumsatz. Hinzu kommen die Einspareffekte: Mittelfristig liegt das Automatisierungspotenzial durch GenAI im Bereich Kundeninteraktion bei rund 60 Prozent.

Automatisiertes Lieferantenmanagement. GenAI hebt das Geschäft mit Zulieferern auf ein neues Level: Sie erstellt Lieferantenprofile auf der Basis von Preis, Geografien oder Industriebenchmarks und liefert so die Basis für die richtige Auswahl. Sie personalisiert die Kommunikation und unterstützt bei Konfliktlösungen. Vor allem aber beschleunigt und verbessert sie die Verhandlungen mit Lieferanten, indem sie Fakten sammelt, Basisdaten aufbereitet und Playbooks entwirft.

Bereits 2021 pilotierte die US-Supermarktkette Walmart zusammen mit dem Start-up Pactum AI einen Chatbot speziell für Vertragsverhandlungen mit Lieferanten. Das Tool ermittelt u.a. Rabatthöhen und Zahlungskonditionen auf der Basis von Wettbewerbspreisen, Warenwerten und historischen Trends. Inzwischen kommt es bei rund 70 Prozent der Walmart-Zulieferer zum Einsatz und bringt dem Handelsunternehmen Einsparungen von im Schnitt 3 Prozent. Auch die Gegenseite schätzt die KI: Drei von vier Walmart-Lieferan- ten verhandeln lieber mit dem Chatbot als mit Menschen.

Bis zu

30%

Verkaufssteigerung lässt sich im Einzelhandel durch den Einsatz von GenAI erzielen.

Verpackungs- und Produktdesign. Die Anwendung von GenAI auf die Entwicklung von Verpackungen und Produkten birgt enormes Innovationspotenzial, steckt aber noch weitgehend in den Anfängen. Erste Anbieter im Bereich Modedesign sind hier z.B. die Start-ups CALA und MAISON META. Mithilfe der Technologie lassen sich z.B. Materialdesigns nach bestimmten Kriterien wie Nachhaltigkeit, Belastbarkeit oder Fertigungsgeschwindigkeit entwerfen. Und die Fertigung personalisierter Produkte kann sogar neue Geschäftschancen eröffnen – so etwa in der Lebensmittelherstellung durch die Entwicklung von Geschmacksrichtungen, die auf individuelle Kundenpräferenzen abgestimmt sind.

GenAI im Einzelhandel: Anwendungsfälle entlang der Wertschöpfungskette

Schaffung von Kundenerlebnissen durch virtuelle AssistentenEffekte
Einkaufsplanung

Personalisierte Produktempfehlungen auf der Grundlage von historischen Kaufdaten und Kundensegmentierung

Anlassbezogene Einkaufsideen und Geschenkvorschläge (Festtage, Geburtstage)

Erstellung von Menüplänen für den Lebensmittelkauf am Wochenende

20 - 30% Verkaufssteigerung
Kaufberatung

3D-Modellierung einer Anprobe

Brillen- und Make-up-Empfehlungen mithilfe von Fotoscans und Gesichtserkennungssoftware

4x höhere Konversionsrate
Navigation

In der Filiale: Echtzeitnavigation zum Auffinden von Produkten

Online: personalisierte Landing Page; Begleitung durch den Bezahl- prozess

Bis zu 60% Automatisierung der Kundeninteraktion
After Sales

Einholen und Auswerten von Kundenfeedback zur Anpassung von Produkt- und Markteinführungsstrategien

Kundenseitige Nachverfolgung von Auftragsbearbeitungen, Lieferpro- zessen und Retourenabwicklung

MarketingEffekte
Markt-/Kunden- forschungAnalyse von Konsumtrends und Kundenpräferenzen aus unstrukturierten Daten (z.B. Marktberichten, Social Media Posts)80% schnellere Auswertung
Content CreationUmwandlung grober Eingaben (Prompts) zu Marketinginhalten in hoch- wertige Texte und Bilder in verschiedenen Medienformaten (z.B. Broschüre, Video, Audio-File)Kürzere Kampagnenzyklen, Senkung der Designkosten
PersonalisierungZuschnitt der Kundenansprache in Bezug auf Sprache, Tonalität und bevorzugten Kommunikationskanal (z.B. E-Mail, Video-Message), basierend auf individuellen Profilen und Omnichannel-Daten90% höhere Kaufwahrscheinlichkeit, 20% geringere Abwanderung
ProzessautomatisierungAutomatisierte A/B-Tests für Kampagnen, Verfassen von E-Mails, Datensammlung zur Mediennutzung, Erstellen interner ArbeitspläneSenkung der Verwaltungskosten
Filialbetrieb und Supply ChainEffekte
FilialdesignUmwandlung von unstrukturierten Eingaben (Textbeschreibungen, Designentwürfe, Verkaufs- und Kundendaten) in 3D-LayoutpläneUmsatzsteigerung
FilialprozessePersonal-Chatbot zur Unterstützung bei der Bearbeitung spezifischer Kundenanfragen und Handling von Retouren sowie zur Abfrage von WarenverfügbarkeitSteigerung der Mitarbeitereffizienz, Senkung der Betriebskosten
LieferantenauswahlErstellung von Lieferantenprofilen nach Kriterien (z.B. Preisgestaltung, Standort, Kundenrezensionen) und Branchen-BenchmarksBeschleunigter Auswahlprozess
LieferantenmanagementErstellung von personalisierter Kommunikation mit Lieferanten auf der Grundlage früherer Interaktionen und spezifischer LieferantenmerkmaleKostensenkung, Verbesserung der Beziehungen
LieferantenverhandlungAutomatisierung wiederkehrender Verhandlungsprozesse durch die Erstellung von Leitfäden, basierend auf früheren Verhandlungen und MarktpreisenBeschleunigte Verhandlungen, 3% Einsparungen bei Verträgen
Verwaltung und BackofficeEffekte
Kundendienst

Echtzeit-Unterstützung bei der Kundeninteraktion via Chatbot mit Auswahl optimaler Antworten, Protokollierung des Kundenverhaltens und personalisierten Empfehlungen

Umwandlung von Kundenanrufen und -feedback in prägnante Berichte zur Analyse der Interaktion und Optimierung des Prozesses

10 - 20% Produktivitätssteigerung, Erhöhung der Kundenzufriedenheit und -treue
ITAutomatisierte Generierung, Priorisierung und Ausführung von Codes, Dokumentation zur Änderungsverfolgung, Überprüfung auf Fehler und Ineffizienzen, Erstellung von Testfällen zur Cybersicherheit 35 - 45% Produktivitätssteigerung bei der Code- Generierung, 20 - 30% bei der Code-Umwandlung
Personalwesen und Mitarbeitertraining

Automatisierte Einarbeitung von Mitarbeitenden und Self-Service-Tools zur Beantwortung von Fragen

Zusammenfassung und Interpretation von Mitarbeiterfeedbacks und Identifizierung von Trends in Langzeitbefragungen

Vorhersage von Abwanderung durch Performanceanalyse von Filialmitarbeitenden anhand von Verkaufsdaten, Einhaltung von Richtlinien, Fehlzeiten und Mitteilungen an Vorgesetzte

Entwicklung interaktiver Schulungssimulationen und Schaffung von Gamification-Anreizen anhand von Mitarbeiterdaten

Einsparung von Verwaltungskosten, Mitarbeiterbindung
RecruitingErstellung von Stellenanzeigen, Gesprächsleitfäden und Bewertungen, Screening von Kandidatenprofilen und Abgleich von Bewerbungen mit der StellenbeschreibungEinsparung von Verwaltungskosten
Finanzen

Verfassen von Steuer- und Geschäftsberichten auf der Grundlage von Finanz- und Unternehmensdaten

Automatisierte Ausgabenverwaltung durch Sortieren und Extrahieren von Belegen mithilfe intelligenter Dokumentenerkennung

Personalisierte Kundenkommunikation im Inkassomanagement (z.B. automatisches Versenden und Beantworten von E-Mails)

Automatisierung von Aufgaben mit geringer Wertschöp- fung, Kostensenkung
Recht

Erstellung komplexer Dokumente (z.B. Verträge, Patentanträge)

Analyse regulatorischer Dokumente, Extrahieren der Kerninformationen und Bereitstellung von Antworten

Überwachung veröffentlichter Inhalte, Identifizierung von Compliance-Risiken und Entwicklung von Lösungen

10x höhere Effizienz in der Erstellung von Dokumenten, Einsparung von Verwaltungskosten
Funktionsübergreifend

Erstellung von Präsentationen aus Prompts und Visualisierung von Text

Zusammenfassung von Videobesprechungen und Dokumenten

Ermöglichung der Suche in der Wissensdatenbank des Unternehmens und Beantwortung von Fragen

Effizienzsteigerung Verbesserung des Wissensmanagements

Jetzt starten – aber wie?

Schon heute zeichnet sich ab: Es wird ein Wettlauf werden – um das beste Kundenangebot, die intelligentesten Tools, die schnellste Umsetzung. Insbesondere bei Letzterem tun sich viele Unternehmen noch schwer. Nach einer branchenübergreifenden Umfrage des McKinsey Global Institute (MGI) glauben zwar neun von zehn CEOs an die transformative Kraft künstlicher Intelligenz in ihrem Geschäft, doch nur 17 Prozent sind auf diesem Feld bereits aktiv und gerade einmal 2 Prozent aller unternehmerischen KI-Initiativen haben bereits ihre Ziele erreicht.

Wie also effektiv starten? Im Prinzip ist das Vorgehen nicht anders als bei der Erschließung von Geschäftsfeldern oder der Eroberung neuer Märkte: Auf eine gründliche Analyse und Priorisierung möglicher Anwendungsfälle folgt das Testen und Lernen in Pilotprojekten und schließlich – nach den ersten Erfolgen – die Skalierung der neuen Technologie.

Anwendungsfälle priorisieren. Nicht wenige Unternehmen experimentieren bereits mit GenAI an verschiedenen Stellen der Organisation, jedoch bislang nur punktuell und meist unkoordiniert. Woran es fehlt, ist eine übergeordnete Strategie. Zunächst gilt es deshalb zu fragen: Welche Ziele verfolgen wir mit der neuen Technologie? Soll sie helfen, Kosten zu sparen, einen Strukturwandel in der Organisation herbeiführen oder das Kundengeschäft zukunftsfähig gestalten? Der beabsichtigte ökonomische Effekt und die technische Umsetzbarkeit sind weitere wichtige Kriterien bei der Auswahl geeigneter Anwendungsfälle.

Testen und Lernen in Pilotprojekten. Das Experimentieren in begrenzten, sicheren Anwendungsräumen verspricht den schnellsten Lerneffekt – gerade auf dem jungen Terrain der GenAI. Zugleich ist in der Pilotphase der rechte Zeitpunkt für den „Proof of Concept“: den Test, ob eine KI-Lösung realisierbar ist und Chancen auf Erfolg hat. Hier ist auch zu klären, ob sich der Bau eines eigenen GenAI-Tools lohnt oder die Software von Drittanbietern möglicherweise die bessere Wahl ist.

Für den Einsatz in Supportfunktionen sind bereits verschiedene Produkte verfügbar, z.B. GitHub Copilot oder CompanyGPT. Und in Fällen, für die es noch keine standardisierten Office-Lösungen gibt, könnte es sich auch lohnen abzuwarten, wie sich der Markt entwickelt und welche Angebote sich durchsetzen werden.

Größer ist der Druck für Unternehmen, die GenAI als Game Changer nutzen wollen. Maßgeschneiderte Lösungen für Kundeninteraktion oder Design gibt es (noch) nicht von der Stange. Hier gilt es, ausrei-chend zu investieren und in der Pilotphase rasch zu lernen, um die Anwendung zügig skalieren zu können. Denn nur so können Händler von dem Wettbewerbsvorteil profitieren, der sich aus einem frühen disruptiven Einsatz der neuen Technologie ergibt.

Technologie skalieren. Um GenAI-Anwendungen erfolgreich im Markt auszurollen, braucht es einen ganzheitlich angelegten Ansatz über mehrere Dimensionen. Aufgabe des Topmanagements ist es zunächst, die strategische Richtung vorzugeben und einen Fahrplan für die Skalierung der zuvor getesteten Anwendungsfälle zu erstellen. Dann gilt es, in der Organisation die erforderlichen Fähigkeiten zu entwickeln, das Operating Model agil aufzustellen und die IT-Infrastruktur wie auch den vorhandenen Datenpool den neuen Anforderungen anzupassen. Ein stabiles Ökosystem aus Partnern und Zulieferern sorgt dann für die nötige Schlagkraft, um die neue Technologie rasch und effektiv zu etablieren.

Einmal mehr geben die „early adopters“ das Tempo vor: War 2023 noch das Jahr der Experimente, wird bereits 2024 mehr und mehr zum Jahr der Skalierung und Wertschöpfung, wie die hier vorgestellten GenAI-Vorreiter im Handel zeigen. Deshalb ist weiteres Abwarten keine wirkliche Option mehr – aus mehreren Gründen: Mitarbeitende werden sich schnell an die Vorteile von ChatGPT und anderen generativen KI-Apps gewöhnen – und sie auch am Arbeitsplatz nutzen wollen. Um damit verbundene Sicherheitsrisiken wie das versehentliche „Leaken“ von Unternehmensdaten im Internet zu vermeiden, sollten interne GenAI-Anwendungen daher bald möglichst eingesetzt werden – zumal geschützte Tools für die Backoffice-Nutzung bereits zur Verfügung stehen und ohne größeren Aufwand zu implementieren sind.

Das größte Risiko aber liegt letztlich darin, die neue Technologie zu ignorieren und damit zuzulassen, dass der mutigere Wettbewerb sich uneinholbare Vorsprünge verschafft. Denn GenAI ist ein weiteres mächtiges Tool in der großen KI-Toolbox. Sie wird die Art, wie Konsument:innen in Zukunft einkaufen, von Grund auf verändern. Wer ihr Potenzial rechtzeitig zu nutzen weiß, wird seine Marktposition auf lange Zeit hinaus behaupten und weiter ausbauen können.

Kernaussagen

  1. Generative KI wird Arbeitsprozesse und Kundeninteraktion im Einzelhandel revolutionieren – wer sie nicht nutzt, könnte bald das Nachsehen haben.
  2. Trotz der noch jungen Entwicklung ist es jetzt an der Zeit, die Basis für die neue Technologie zu schaffen und Erfahrungen in Pilotprojekten zu sammeln.
  3. Durch zügige Skalierung können Einzelhändler sich wertvolle Wettbewerbsvorteile verschaffen und das ökonomische Potenzial ausschöpfen, das GenAI birgt.
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