Dies geht aus der Analyse „Making everyday products greener“ der Unternehmensberatung McKinsey & Company hervor. Für die Studie wurde für eine große Anzahl von Alltagsprodukten die Wege hin zu grünen Varianten im Detail analysiert. Hierfür wurden alle Wertschöpfungsketten in einem so genannten digitalen Zwilling 1:1 abgebildet und u.a. hinsichtlich Energieverbrauch und CO2-Emissionen analysiert.
„Es geht: Auch komplexe Alltagsprodukte grün und damit emissionsfrei zu machen, ist heute schon möglich“, sagt Thomas Weskamp, Senior Partner im Kölner Büro von McKinsey und Co-Autor der Studie. „Dafür ist jedoch ein Umbau von Wertschöpfungsketten nötig – das heißt zum einen die Nutzung von erneuerbaren Energien in der Produktion und zum anderen die Nutzung von weniger emissionsintensiven, biobasierten oder recycelten Rohmaterialien“. Heute fehle es oft noch am Verständnis für diese Prozessketten – und an verlässlichen Daten: Von verlässlichen Werten für Treibhausgasemissionen an sich über das Know-How, welche Emissionsreduktionsmaßnahmen durchführbar und kostengünstig sind, bis hin zu den Auswirkungen auf ein konkretes Alltagsprodukt. Beispiel Sportschuh: 60% aller CO2-Emissionen stecken in den sechs wichtigsten Rohmaterialien, für die über 50 unterschiedliche Arbeitsschritte notwendig sind. „Und all diese Materialien und Schritte müssen zwar einzeln verstanden, dann aber integriert dekarbonisiert werden, damit am Ende ein echt grüner Schuh herauskommt“, so Weskamp.
Weskamp: „Das Rennen um diese Neuordnung der Wertschöpfungsketten hat bereits begonnen – noch aber mit nur wenigen Unternehmen als ernstzunehmende Teilnehmer. Doch nur die schnellen Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsketten verstanden haben, können aus diesem Rennen in den nächsten Jahren als Gewinner hervorgehen.“
Rennen mit Gewinnern und Verlierern
Ein weiteres Studienergebnis: Der Zugang zu emissionsfreien Rohmaterialien für Alltagsprodukte kann zu einem Nadelöhr werden, weil deren Verfügbarkeit insbesondere bis zum Jahr 2030 kaum mit der Nachfragesteigerung Schritt halten kann – wenn man für die Nachfragesteigerung die europäischen Regierungs- und Unternehmensziele für die Treibhausgasreduktion zugrunde legt. Während das verbindliche EU-Ziel für erneuerbare Energien im Jahr 2030 bei 40 Prozent liegt (derzeit sind es 20 bis 25 Prozent), decken zum Beispiel biobasierte Rohstoffe derzeit weniger als 0,1 Prozent des weltweiten Rohstoffbedarfs für die petrochemische Industrie und werden bis 2030 wahrscheinlich nicht mehr als 5 Prozent erreichen. Weskamp: „Dies ist insgesamt zu wenig, damit jedes Unternehmen seine formulierten Ziele erreichen kann. Und falls überhaupt verfügbar, werden sich mit dieser Lücke zwischen Angebot und Nachfrage naturgemäß die Preise für diese Materialien signifikant erhöhen – Preise, die sich heute, von Ausnahmen abgesehen, oft noch sehr stark an den Preisen der konventionell hergestellten „nicht-grünen“ Rohmaterialien orientieren.“ Insbesondere bei sehr ambitionierten Treibhausgaszielen für das Jahr 2030 heißt das, sich die grünen Rohmaterialien und Prozessketten besser frühzeitig zu sichern. „Neue Technologien, die für eine völlig andere Kostenbasis sorgen werden, sind skalierbar erst für die nächste Dekade in Sicht“, so Weskamp.
Spezielle Rolle für die chemische Industrie
Da Produkte der chemischen Industrie zwei Drittel aller Substanzen ausmachen, die in Alltagserzeugnissen – von Drogerieprodukten über Spielzeuge bis hin zu Schuhen – Verwendung finden, wird die Chemieindustrie als zentraler Akteur und Impulsgeber für die Neugestaltung der Wertschöpfungsketten fungieren müssen. In Europa kann die Industrie dafür mit Investitionen von mehr als 200 Milliarden Euro für den Umbau rechnen. Das ist umgerechnet rund viermal der Jahresgewinn aller Chemieunternehmen in Europa. „Diese Investitionen werden sich unzweifelhaft für diejenigen Chemieunternehmen lohnen, denen es am besten gelingt, zu erkennen, wo für Markenartikler, Retailer und Automobilhersteller der Wert von grünen Produkten besonders hoch ist. Sie können dann dafür gezielt ein Angebot entsprechender grüner Materialien zur Verfügung stellen. Das gilt für Verpackungsmaterialien genauso wie für Kosmetikinhaltsstoffe oder unzählige andere Produkte der chemischen Industrie“, so Weskamp.